Europas digitale Zukunft: Zwischen Abhängigkeit und Souveränität

Dieser Beitrag wurde von Wolfgang Oels, COO des BNW-Mitglieds Ecosia, verfasst und beleuchtet die wachsende Bedeutung digitaler Souveränität in Europa. Angesichts geopolitischer Spannungen und technologischer Abhängigkeiten plädiert er für ein entschlossenes Umdenken in Politik, Wirtschaft und Verwaltung – hin zu offenen, europäischen Digitalstrukturen, die Resilienz, Wettbewerb und Demokratie sichern.
Plötzlich geht es um Alles. Europa wird angegriffen. Auf der einen Seite durch Russland, das vor drei Jahren in die Ukraine einmarschiert ist und schon länger systematisch versucht, Wahlen in der EU zu beeinflussen. Auf der anderen Seite und erst seit kurzem durch die USA, die die territoriale Integrität der EU anzweifeln, noch sehr viel massiver Einfluss auf Wahlen in der EU genommen haben und jetzt einen Handelskrieg vom Zaun brechen.
Gegenüber Russland hat sich Deutschland in beeindruckender Geschwindigkeit aus der Abhängigkeit der fossilen Energieversorgung befreit. Gegenüber den USA muss uns das jetzt schnell in den mindestens ebenso wichtigen digitalen Infrastrukturen gelingen. Der Ukraine wurde schon mit Abschaltung des kriegskritischen Satellitenzugangs gedroht, sollte sie den USA nicht ihre Rohstoffe übereignen. Aber was passiert, wenn Trump der EU den Zugang zu Betriebssystemupdates, Office-Software, Emailservices, Cloudspeichern oder Suchmaschinen sperrt? Unsere Gesellschaft würde von jetzt auf gleich im Chaos versinken.
Gefragt ist hier vor allem die öffentliche Verwaltung. Sie kann selbst souveräne Lösungen einsetzen, was häufig aufgrund der schieren Größe des öffentlichen Sektors allein schon ausreicht, um europäische Unternehmungen wirtschaftlich nachhaltig zu machen. In Frankreich ist das schon lange selbstverständlich. Dort nutzt die Verwaltung seit Jahren standardmäßig die größte französische Suchmaschine. Und kürzlich hat der französische Staat selbst einen “Souvereign Workspace” ins Netz gestellt: mit Dokumentenbearbeitung, Email, Chat und Dateitransfer - alles Open Source, für die französische Verwaltung und offen für alle.
Es geht darum, Souveränität über kritische digitale Infrastrukturen wiederzugewinnen, nicht mehr erpressbar zu sein und Hoheit über die eigenen Daten zu erlangen. Es geht darum, durch Portabilitätszwang, Plattformzugang und Open Source Regeln in der öffentlichen Vergabe Monopole aufzubrechen und wieder für Wettbewerb, das Herzblut der Marktwirtschaft, zu sorgen. Und es geht darum, in kritischen demokratischen Infrastrukturen wie digitalen Medien analog zu konventionellen Medien für Meinungs- und kulturelle Vielfalt durch Anbietervielfalt zu sorgen.
In verschiedenen “Eurostack”-Initiativen organisieren sich seit Kurzem Bürger:innen, NGOs, Unternehmen und Wissenschaftler:innen, um unsere akute Verletzbarkeit zu reduzieren. Der Staat müsste hier vorangehen. In Frankreich tut er es. Aber auch die Wirtschaft kann sich in dieser Situation nicht einfach zurücklehnen. Zum einen, weil ihr die Stabilität in Europa ein intrinsisches Anliegen ist. Zum anderen, weil die meisten Unternehmen selbst bedroht sein dürften. Die Lösungen sind zu einem großen Teil schon da. Wir müssen nun handeln und für Freiheit und Wohlstand in Europa kämpfen - mit einem Digitalservicewechsel nach dem anderen.