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Nachhaltig. Stark. Weiblich. Die Öko-Zucht-Pionierin

In der Geflügelzucht ist für Tierwohl kein Platz? Von wegen: als Geschäftsführerin der gemeinnützigen Gesellschaft für Ökologische Tierzucht (ötz) ist Inga Günther eine echte Pionierin. Im Porträt erzählt sie, wie es dazu kam und was ihr Kampfgeist mit Barfußlaufen zu tun hat.

Nachhaltig. Stark. Weiblich. Mitgliedsunternehmen Interview
Links ist Inga Günther mit einem Huhn auf dem Arm und schaut links aus dem Bild heruas. Rechts ist das Logo der Ökologischen Tierzucht vor weißem Hintergrund

Inga Günther von der ötz

Ob Schildkröten, Katzen, Zebrafinken, Ratten oder Ohrenkneifer: schon als Kind war Inga Günther fasziniert von allem, was krabbelt, fliegt oder kriecht. Im verwilderten Garten ihres Elternhauses am Hamburger Stadtrand pflegte und versorgte sie jedes Tier, das ihr in die Hände viel. Auch mutterlose Wildentenküken fanden bei ihr ein Zuhause. Und von einem dreiwöchigen Landwirtschaftspraktikum brachte sie fünf flauschige Hühnerküken mit nach Hause. Nur zwei davon waren weiblich. Als eierlegende Hennen würden sie viele Jahre gefüttert und wertgeschätzt werden. Doch die Hähne? Für sie gab es offenbar keine Daseinsberechtigung, sie sollten schnellstmöglich geschlachtet werden. „Ich (damals 15 Jahre alt) konnte gar nicht glauben, dass es sogar üblich war, die Tiere gar nicht aufzuziehen, sondern sofort nach dem Schlupf zu vergasen“, erzählt Inga Günther. Diese Erkenntnis markierte den Beginn ihres Engagements für eine ökologische Tierzucht.

Hühner sind Inga Günthers Lebensaufgabe

Nach einer schweren Rücken-Operation war jedoch klar: Landwirtin konnte sie nicht werden. „Das hat mich ganz schön aus der Bahn geworfen“, erinnert sie sich. Während eines Auslandsjahres in Namibia arbeitete sie in einem Kinderheim, das auch Hühner hatte. Und gestand sich ein: diese flauschigen Geschöpfe sind ihre Lebensaufgabe. Zurück in Deutschland studierte sie Landwirtschaft und spezialisierte sich auf die Henne-Hähne-Ungerechtigkeit. Dabei erkannte sie: „Die Hähne selbst sind nicht das Problem. Dass sie als wirtschaftlicher Ballast gelten ist das Symptom einer kostenoptimierten Tierhaltung, deren Zucht Tierwohl und Ethik nicht im Fokus hat.“

Tierzucht muss auch anders gehen

Weltweit sind von ursprünglich vielen verschiedenen Unternehmen nur noch zwei große Firmen für die Geflügelzucht übrig geblieben. Sie teilen sich den globalen Markt – und bestimmen damit auch über die genetische Viel- beziehungsweise Einfalt und stellen die Weichen für mehr Tierwohl oder Tierleid. Inga Günther erläutert: „Es ist eine Tatsache, kein Vorwurf, dass diese Firmen ihre Tiere insbesondere für die Eierproduktion in Käfighaltung optimieren – schließlich macht dieses System weltweit gesehen 90% der Legehennen-Haltung aus.“ Auch die Zuchtziele bei der Fleischerzeugung brauchen laut Inga Günther für ökologisch wirtschaftende Betriebe andere Schwerpunkte: „Statt extrem schnellem Fleischansatz und Futterzusatzstoffen setzen wir auf langsamer wachsende Tiere und regionales Futter. Tierzucht muss für eine zukunftsfähige Tierhaltung auch anders gehen – zum Wohle der Tiere der Umwelt, aber auch der Landwirte die davon leben können müssen.“

Von der Idealistin zur Geschäftsführerin

Nach dem Studium zog Inga Günther mit Mann und Tochter auf einen alten Hof am Bodensee, kaufte sich ein paar Hühner und legte einfach los. Wenn sie nicht gerade bei ihren geflügelten Schützlingen war, schickte sie Emails an Bio-Firmen und Stiftungen und bat um Unterstützung für eine tierwohlorientierte, ökologische Züchtung. „Ich war wie besessen von dem Potenzial, das hier schlummerte, und von der Sinnhaftigkeit meines Tuns vollkommen überzeugt“, sagt sie. Ihre Leidenschaft zahlte sich aus: sie erhielt Zuspruch, Spendengelder und schließlich ein Jobangebot, das sie nicht ablehnen konnte. 2014 suchten die Bio-Verbände Bioland und Demeter jemanden, der zwei “übriggebliebene“ alte Zuchtlinien aus der ehemaligen DDR auf einem Bioland-Betrieb in Nordrhein-Westfalen betreuen und züchterisch bearbeiten konnte. Für Inga Günther ein Glücksgriff – denn diese Tiere waren die letzten ihrer Art und die perfekte Grundlage für den Aufbau einer eigenständigen und  bäuerlichen Tierzucht.

„Ohne Überzeugung hätte ich das nicht geschafft“

Als Geschäftsführerin der hieraus entstandenen, gemeinnützigen GmbH für ökologische Tierzucht (ötz) konnte Inga Günther nun richtig viel bewegen. In NRW etablierte sie das erste  biozertifizierte Zuchtsystem für Hühner ohne Käfige. Mit dem Verbot des Kükentötens 2022 gewann ihre Arbeit an Relevanz. Heute ist die ötz für den internationalen Handel mit Bruteiern zertifiziert und feiert zehnjähriges Bestehen. Ohne Inga Günther wäre all das nicht denkbar. Doch ihr Weg war steinig. „Mit Anfang zwanzig fuhr ich mit meinen zwei Kindern und meiner Mutter auf meine erste Geflügeltagung. Ich war weder BWLerin noch Genetikerin. Die meisten sahen in mir bloß eine überdrehte, grüne Idealistin.“ Als Geschäftsführerin änderte sich das, doch der Preis war hoch: ihre Familie sah sie oft nur wenige Tage in der Woche. „Ohne Überzeugung hätte ich das nicht geschafft“, sagt die Öko-Zucht-Pionierin. Für ihr ötz-Team – elf Frauen und sechs Männer – gestaltet sie daher möglichst flexible Arbeitsbedingungen.

„Die eigene Haltung ist wichtiger als das, was andere darüber denken“

Wie viele Überzeugungstäter:innen musste Inga Günther viel in Vorleistung gehen, bis ihre Vergütung ansatzweise ihrer Leistung entsprach. Das ist einer der Gründe, warum sie sich heute im Bio-Frauen-Netzwerk engagiert. „Hier tauschen sich Frauen aus der Bio-Branche offen aus, unterstützen sich und sprechen auch über Geld und Anerkennung. Das hilft, um etwa bei Gehaltsverhandlungen selbstbewusster aufzutreten.“ Ihr eigenes Selbstbewusstsein stand seit Kindesbeinen unter einem guten Stern. Ihr Vater Lehrer an ihrer Waldorfschule – und Barfußläufer. Sie erzählt: „Als Jugendliche war mir das megapeinlich. Doch mein Vater hat mir damit vorgelebt, dass die eigene Haltung wichtiger ist als die Meinung anderer. Das prägt mich bis heute.“

 

 

Zur Kolumne:
Ina Hiester ist freie Journalistin mit den Schwerpunktthemen Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit. Während einer umfassenden Recherche rund um das Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Biobranche stellte sie fest: viele Frauen sind zwar besonders empathisch und naturverbunden und engagieren sich für gesellschaftlichen Wandel. Doch auch im 21. Jahrhundert werden ihre Leistungen oft nicht genug anerkannt. In ihrer BNW-Porträt-Reihe „Nachhaltig. Stark. Weiblich.“ stellt die Journalistin deshalb Unternehmerinnen vor, die sich mit Herz und Verstand den ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit stellen.