Nachhaltig. Stark. Weiblich. „Ich möchte Frauen ermutigen, sich für ihre berufliche Entwicklung mehr Raum zuzugestehen“

Anna Yona von Wildling Shoes
Warum gründet eine Journalistin eine Schuhfirma? Schon während ihres Studiums der Nahost-Studien und Literaturwissenschaften in Tel Aviv lernte Anna Yona ihren heutigen Mann und Geschäftspartner Ran kennen. Zwölf Jahre lebte sie in Israel, arbeitete als Journalistin und freie Übersetzerin, brachte drei Kinder zur Welt und unterstützte Ran, der als Sporttherapeut mehrere Fitnessstudios leitete. „Als 2013 meine älteste Tochter schulpflichtig wurde, beschlossen wir, nach Deutschland zu ziehen. Wir hatten keinen Plan, wie es beruflich für uns weitergehen sollte – bis die Schuhprobleme anfingen“, erzählt Anna.
„Schuhe anziehen war für unsere Kinder nichts als Drama“
In Israel waren ihre Kinder quasi barfuß aufgewachsen – ein Konzept, das im deutschen Klima nicht funktionierte. „Schuhe anziehen und anlassen war für unsere Kinder nichts als Drama. Und selbst wenn wir sie dazu überreden konnten, liefen sie damit völlig unnatürlich. Also begannen wir, selbst minimalistische Kinderschuhe zu entwickeln.“ 2015 gründeten Anna und Ran die Firma Wildling Shoes. Seitdem haben sie mehrere Design-, Gründer- und Unternehmerpreise gewonnen, darunter den Deutschen Nachhaltigkeitspreis im Jahr 2023.
„Wir haben unsere Lieferketten im Blick“
Die ersten Jahre von Wildling waren wortwörtlich wild: ohne nennenswerte Werbeausgaben wuchs das Unternehmen schneller, als Anna und Ran es je für möglich gehalten hätten. Ihr Erfolgsrezept: möglichst nachhaltige Rohstoffe für so wenig Schuh wie möglich verwenden. „Besonders wenn man Produkte für Kinder entwickelt, muss man wissen, was da drin ist – und was nach der Nutzung davon übrig bleibt. Obermaterial und Futter unserer Schuhe stammen aus Naturstoffen, für die wir die Lieferketten genau im Blick haben. Unsere Wolle kommt etwa aus Norddeutschland, wo Schafe ein Biosphärengebiet beweiden und damit die Kulturlandschaft pflegen. Früher wurde ihre Wolle nur als Dämmmaterial verwendet, heute steckt sie in unseren Schuhen. Unser Leder ist ein Nebenprodukt der Jagd, das üblicherweise weggeworfen wird. Leinen und Hanf beziehen wir von einer Kooperative in Frankreich, Bio-Baumwolle aus Uganda.“ Die Schuhsohlen stellen eine besondere Herausforderung dar: Sie müssen langlebig, flexibel und recycelbar sein. Um das zu erreichen, experimentiert Wildling mit frischem und recyceltem Gummi, Kork und Kieselgel. „In unseren Läden nehmen wir alte Schuhe zurück, damit vor allem die Sohlen recycelt werden können“, sagt Anna.
„Wenn Familie und Beruf vereinbar sind, entstehen Räume, in denen Kinder natürlich vorkommen dürfen“
Inzwischen macht Wildling Schuhe für die ganze Familie. Fast alle Modelle werden in Portugal produziert. Mit wachsendem Sortiment und steigender Nachfrage wuchs auch die Zahl der Mitarbeitenden sehr schnell – zu schnell, wie Anna heute weiß: „2024 hatten wir von Produktentwicklung über Vertrieb bis Logistik rund 200 Mitarbeitende. Nach einer umfassenden Umstrukturierung sind wir nun noch 80, drei Viertel davon sind Frauen. Wir alle haben von Anfang an überwiegend remote gearbeitet. Flexibilität, viel Eigenverantwortung und wenig Kontrolle zeichnen uns als Arbeitgeber aus – und werden ganz besonders von Menschen mit Familie geschätzt. Nur wenn Familie und Beruf wirklich vereinbar sind, entstehen Räume, in denen Kinder natürlich vorkommen dürfen. Als Mutter von drei Kindern ist mir das besonders wichtig.“
„Gründen braucht Zeit und Fokus“
Nach dem Umzug nach Deutschland hatten Anna und Ran die klassischen Rollen getauscht. Ran, der seine intensive Selbstständigkeit in Israel aufgegeben hatte, wollte gezielt mehr Zeit mit den Kindern verbringen. „Ich hingegen hatte große Lust, mich mehr mit Erwachsenen zu umgeben – und so auch mal einen Satz zu Ende zu reden. Hinzu kam, dass Ran anfangs sowieso kaum Deutsch sprach – er blieb also gerne erst mal hinter den Kulissen.“ Im Vergleich mit vielen anderen Gründerinnen fiel Anna auf, dass diese Konstellation sehr ungewöhnlich ist. „Viele Frauen gründen während der Elternzeit oder bauen sich ihre Selbstständigkeit nebenberuflich auf. Das ist schade, denn Gründen braucht Zeit und Fokus. Ich möchte Frauen ermutigen, sich für ihre berufliche Entwicklung mehr Raum zuzugestehen – und diesen auch einzufordern.“
Zur Kolumne:
Ina Hiester ist freie Journalistin mit den Schwerpunktthemen Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit. Während einer umfassenden Recherche rund um das Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Biobranche stellte sie fest: viele Frauen sind zwar besonders empathisch und naturverbunden und engagieren sich für gesellschaftlichen Wandel. Doch auch im 21. Jahrhundert werden ihre Leistungen oft nicht genug anerkannt. In ihrer BNW-Porträt-Reihe „Nachhaltig. Stark. Weiblich.“ stellt die Journalistin deshalb Unternehmerinnen vor, die sich mit Herz und Verstand den ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit stellen.