Nachhaltig. Stark. Weiblich. „Wir sind nicht hier, weil wir drei Frauen sind!“

Jule, Julianna und Vicky von MOIN
Jule Usadel, Julianna Müller und Vicky Radtke kamen aus ganz verschiedenen Richtungen in einer Zeit ins Unternehmen, als MOIN sich gerade vergrößerte. „In der Firma herrschte Umbruchsstimmung; einige Mitarbeitende gingen, andere kamen neu dazu. Das gab uns die Möglichkeit, in alle Bereiche reinzuschauen. Mit der Zeit haben wir uns dann zunächst als zweite und nun als erste Führungsebene entwickelt“, sagt Jule. Sie hatte zuvor BWL mit Schwerpunkt Food-Management studiert, denn sie wollte schon immer etwas Kreatives machen, das mit guter Ernährung zu tun hat. Das hat geklappt: heute verantwortet sie bei MOIN die Bereiche Ein- und Verkauf, Kommunikation und Produktentwicklung.
In ihrer Heimat Russland hatte die Industriekauffrau und Betriebswirtin Julianna von Kindesbeinen an mitten in der Lebensmittelwertschöpfung gestanden. „Wir bauten dort unser eigenes Gemüse an und hatten auch eigene Tiere. MOIN bot mir den perfekten Rahmen, einen Beitrag für eine ressourcenschonende, vielfältige Landwirtschaft zu leisten. Heute verantworte ich hier Produktion, IT, EDV, Technik sowie QS und QM“, sagt sie.
Vicky schlüpfte im September 2023 direkt aus der Elternzeit in die Rolle der Geschäftsführerin. „Als ich bei MOIN anfing bot sich mir nach nur zwei Wochen die Chance, die Buchhaltung neu aufzubauen – eine echte Herausforderung! Ein Kind zu bekommen hat mich zuletzt nochmals darin bestärkt, eine Firma mitzugestalten, die für enkeltaugliches Wirtschaften steht“, sagt die Hotelfachfrau, Fleischerin und studierte Betriebswirtin. Bei MOIN verantwortet sie heute die Bereiche Finanzen, Controlling und Verwaltung.
„Wir werden alles daransetzen, die Gründungsimpulse von MOIN in die Zukunft zu tragen“
Bevor Jule, Julianna und Vicky die Geschäftsführung übernahmen, hatte Firmengründer Hans-Paul Mattke das Unternehmen zeitweise gemeinsam mit seiner Frau Brigitta Sui Dschen Mattke geleitet. Julianna erzählt: „Hans-Paul Mattke hat sich rechtzeitig und ausführlich Gedanken über seine Unternehmensnachfolge gemacht. Der Übergabeprozess war offen und kooperativ, aber auch anspruchsvoll und langwierig. Doch wir haben zu fünft an einem Strang gezogen. Uns und die Mattkes verbinden starke gemeinsame Werte und wir werden alles daransetzen, ihre Gründungsimpulse weiter in die Zukunft zu tragen.“ Mattke hatte bereits in den 70er Jahren als Mitglied eines linken Bäckerkollektivs auf die zweifelhafte Qualität industriell hergestellter Lebensmittel aufmerksam und mit seinem Lebenswerk schließlich alles anders gemacht. MOINs Backwaren sind deshalb zu 100% aus Bio-Zutaten, frei von Palmöl und fragwürdigen Zusatzstoffen sowie technischen Enzymen – und schmecken vor allem richtig gut.
In der Bäckerei-Branche ist das weibliche Führungstrio ziemlich allein auf weiter Flur. „Als ich 2019 bei der Abschiedsfeier unserer Azubis dabei war, traf ich dort ausschließlich männliche Bäcker. Das kommt auch daher, dass der Beruf körperlich anstrengend ist, denn ein Sack Mehl wiegt 25 Kilogramm. In den Bäckereien arbeiten Frauen deshalb eher als Verkäuferinnen“, sagt Vicky. Den Geschäftsführerinnen ist es ein großes Anliegen, in der Produktion für körperliche Entlastung zu sorgen. „Nur so kann die Arbeit geschlechterunabhängiger und für alle attraktiver werden. Wir haben einen Sackheber installiert, der die Schwerstarbeit leistet. Und unsere Kernarbeitszeiten liegen zwischen 6 und 18 Uhr. Das ist in der Bäckereibranche sehr ungewöhnlich“, so Jule.
„Diskriminierung aller Arten hat bei uns im Unternehmen keinen Platz“
Bei MOIN arbeiten 80 Menschen aus 12 verschiedenen Nationen. Julianna sagt: „Je nach kulturellem Hintergrund ist unser Anspruch an Gleichberechtigung leichter oder schwerer zu transportieren. Für einige Männer war es zuerst ungewohnt, eine Frau als Vorarbeiterin zu haben.“ In solchen Fällen gelte es, direkt ins Gespräch zu gehen. Jule ergänzt: „Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass unsere Werte in Sachen Gleichberechtigung und Chancengleichheit vom gesamten MOIN-Team mitgetragen werden. Diskriminierung aller Arten hat bei uns im Unternehmen keinen Platz.“
Die Reaktionen auf Ihren Karriereschritt jenseits ihrer Unternehmensblase haben die drei Geschäftsführerinnen ziemlich erstaunt. Julianna erzählt: „Ich weiß nicht, wie oft ich in diesem Jahr schon den Kommentar gehört habe, dass ich eine von den drei Frauen sei. Innerhalb unserer MOIN-Welt hat sich das gar nicht so ungewöhnlich angefühlt. Und es nervt ehrlich gesagt manchmal, darauf reduziert zu werden. Ich zum Beispiel leite die Backwarenproduktion, obwohl ich selbst keine Bäckerin bin. Das ist doch viel spannender als mein Geschlecht – oder nicht?“ Anfangs sei sie zwar unsicher gewesen, ob sie dieser Aufgabe gewachsen sei. Doch dann kam sie zu der Erkenntnis: das Schlimmste, was ihr passieren könne, wäre, es nicht auszuprobieren.
„Wir sind eher zufällig als absichtlich die Karriereleiter hochgestiegen“
„Wir sind nicht hier, weil wir drei Frauen sind. Sondern weil wir Bock auf diese Aufgabe hatten. Wir haben – jede für sich – erst den Sinn in unserem Tun gefunden. Und sind dabei eher zufällig als absichtlich die Karriereleiter hochgestiegen“, sagt Vicky. Mit dieser Erfahrung im Gepäck ist es Jule besonders wichtig, die individuellen Fähigkeiten und Persönlichkeiten ihrer Mitarbeitenden zum Strahlen zu bringen – „ganz egal ob Mann oder Frau. Das Hauptanliegen von MOIN ist es, richtig gutes Essen zu machen. Diesem Ziel ordnen wir alles unter und damit kriegt man auch jeden abgeholt. Das macht es uns leicht, unsere Mitarbeitenden zu begeistern und zu orientieren.“
Zur Kolumne:
Ina Hiester ist freie Journalistin mit den Schwerpunktthemen Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit. Während einer umfassenden Recherche rund um das Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Biobranche stellte sie fest: viele Frauen sind zwar besonders empathisch und naturverbunden und engagieren sich für gesellschaftlichen Wandel. Doch auch im 21. Jahrhundert werden ihre Leistungen oft nicht genug anerkannt. In ihrer BNW-Porträt-Reihe „Nachhaltig. Stark. Weiblich.“ stellt die Journalistin deshalb Unternehmerinnen vor, die sich mit Herz und Verstand den ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit stellen.