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Öffentliche Hand zur Gestalterin der Transformation machen

Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Beschaffung mit einem geschätzten Volumen von 500 Milliarden Euro, umweltfreundlicher und sozialer zu gestalten. Aber wie ist der Stand hier? Wie können Vergabestellen Nachhaltigkeitskriterien noch stärker berücksichtigen? Im Interview mit Jens Kröcher, Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei BNW-Mitglied [GGSC], geht es um wesentliche Entwicklungen im Vergaberecht.

Nachhaltige Wirtschaftspolitik Interview Kreislaufwirtschaft

Welche Aspekte sind in Ihrer Arbeit mit öffentlichen Auftraggebenden besonders wichtig?

Die öffentliche Hand ist eine der größten Nachfragenden für eine Vielzahl von Dienst-, Bau- und Lieferleistungen am Markt. Trotz dieser „Marktmacht“ hat man aber gelegentlich den Eindruck, dass sie eher Getriebene von Entwicklungen ist, als Gestalterin. Ich verstehe meine Rolle in erster Linie als Unterstützer bei der Entwicklung effizienter Beschaffungsprozesse und einer fairen, transparenten Abwicklung des Verfahrens. Dabei kann das Ergebnis meiner Beratung durchaus auch sein, dass eine bestimmte Leistung von der öffentlichen Hand in Eigenregie bzw. im Rahmen eines sog. „Inhouse-Geschäfts“ erbracht werden sollte. Es ist ein gutes Gefühl, wenn am Ende eines aufwendigen Verfahrens ein wirtschaftliches Ergebnis für den öffentlichen Auftraggeber erzielt, hohe Umweltstandards realisiert werden konnten und auch unterlegene Wettbewerber die Fairness des Auswahlprozesses anerkennen.

 

Was waren in den letzten Jahren die wesentlichen Entwicklungen, die Sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge beobachtet und begleitet haben?

Nachdem durch die letzte große Novelle der EU-Vergaberichtlinien und deren Umsetzung in nationales Recht im Jahr 2016 ausdrücklich anerkannt wurde, dass auch umweltbezogene oder soziale Kriterien bei Vergabeentscheidungen berücksichtigt werden dürfen, hat sich der Spielraum der öffentlichen Auftraggeber deutlich erhöht. Die e-Vergabe hat viele Prozesse der Vergabestellen verändert und die Kommunikation mit allen Verfahrensbeteiligten sowie die Dokumentation erleichtert. Leider ist aber auch in einer Reihe von Märkten, in welchen ich Ausschreibungen begleite, etwa im Entsorgungsbereich oder der Spezialfahrzeugbeschaffung, eine deutliche Konzentration auf Anbieterseite in einer ganzen Reihe von Regionen zu beobachten.

Über Gaßner, Groth, Siederer & Coll [GGSC]: [GGSC] ist eine Spezialkanzlei für Umwelt-, Bau-, Energie- und öffentliches Wirtschaftsrecht. Die Rechtsanwält:innen von [GGSC] sind Expert:innen für unterschiedlichste umweltrelevante Themen, wie z.B. Emissionshandel, erneuerbare Energien, Abfallrecht oder nachhaltige Vergabe. Dabei arbeiten sie überwiegend für (kommunale) Unternehmen, öffentliche Behörden und Wirtschafts- und Umweltverbände. Gegründet wurde [GGSC] im Jahr 1986. Die Kanzlei blickt auf eine lebhafte Geschichte zurück. Beginnend im Jahr 1999 hat sie das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und nunmehr die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) umfassend zu atom- und bergrechtlichen Fragen, aktuell im Zusammenhang mit der Endlagersuche, beraten. Seit ihrem Aufbau 2004 unterstützt [GGSC] ebenso die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) und vertritt eine Vielzahl öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger mit dem Ziel eines effizienten Ressourcenschutzes. Die Kanzlei war ferner maßgeblich an zentralen Urteilen auf europäischer Ebene gegen den Einsatz von schädlichen Pestiziden beteiligt. Zu ihren Mandant:innen gehört auch die LandesEnergieAgentur Hessen GmbH zum Ausbau oberflächennaher Geothermie. [GGSC] ist Mitglied im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) e.V..

Rund 80% der Vergabeentscheidungen fallen auf kommunaler Ebene. In Fragen der nachhaltigen öffentlichen Vergabe hinken Länder und Kommunen laut mehreren Berichten des Bundesrechnungshofs hinterher. Wo sehen Sie (rechtliche) Herausforderungen bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in Vergabeverfahren auf kommunaler Ebene?

Die Analysen und Bewertungen des Bundesrechnungshofs scheinen mir hier etwas zu pauschal ausgefallen zu sein. Richtig ist: Nachhaltigkeitsaspekte werden nicht in einer hinreichenden Anzahl von Vergabeverfahren einbezogen. Dies liegt allerdings nicht selten daran, dass die Gleichen, die eine möglichst umfassende Bewertung etwa von Lebenszykluskosten anmahnen, öffentliche Auftraggeber dafür kritisieren, dass etwa einmalige Anschaffungskosten zu hoch ausgefallen seien und dabei Betriebskosten und -verbräuche außer Acht lassen. Wenn dann auch noch Gebühren oder Beiträge steigen, werden schnell überzogene Anforderungen als Ursache ausgemacht und Umweltkriterien so zu Unrecht diskreditiert.

 

Im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft sind über 650 Unternehmen organisiert, die nachhaltige Produkte und Dienstleistungen anbieten. Bei einer vor allem am Einkaufspreis orientierten Vergabepraxis werden diese teilweise benachteiligt. Wie können gerade kommunale Vergabestellen die Nachfrage nach nachhaltigen Gütern und Dienstleistungen verbessern?

Nicht jede Ausschreibung, die als alleiniges Zuschlagskriterium den Preis vorsieht, muss unökologisch sein. Wenn ein öffentlicher Auftraggeber bereits in der Leistungsbeschreibung hohe Umweltstandards vorgibt, kann auch ein reiner Preiswettbewerb im Rahmen von standardisierten Leistungen fair sein. Wichtig ist aber einerseits, dass auch Folgekosten bei der Ermittlung von Vergleichspreisen berücksichtigt werden. So können etwa die Vorteile einer regionalen Produktion über die Berücksichtigung von Transportentfernungen einbezogen werden. Andererseits muss verstärkt in den kommunalen Gremien und gegenüber Rechnungsprüfungsämtern dafür geworben werden, dass ein höherer Preis – etwa zur Reduzierung von CO²-Immissionen – gerechtfertigt ist und keine haushalts-/ gebührenrechtlichen Einwände entgegenstehen.

 

Aktuell arbeitet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) an der Reformierung der öffentlichen Vergabe. Welche drei rechtlichen oder praktischen Empfehlungen würden Sie dem Ministerium machen, die aus Ihrer Sicht eine nachhaltige öffentliche Beschaffung auch tatsächlich fördern?

  1. Den öffentlichen Auftraggebern sollten praktische, nutzbare Gestaltungsvorschläge in Standardvergabeverfahren – insbesondere im Unterschwellenbereich – an die Hand gegeben werden. In die Entwicklung entsprechender Datenbanken mit Textbausteinen sollten alle Akteure des Wettbewerbs einbezogen werden und es sollte auf „Pro-Forma-Eigenerklärungen“ verzichtet werden, deren Inhalte weder im Vergabeverfahren, geschweige denn im Vertragsvollzug überprüft werden.
  2. Ferner muss verdeutlicht werden, dass hohe Umweltstandards auch mit einer einfachen Verfahrensgestaltung erreicht werden können. Umweltkriterien vorzusehen bedeutet nicht automatisch mehr Verwaltungsaufwand. Mit einer effizienten Verfahrenssteuerung können hier negative Effekte häufig vermieden werden.
  3. Es bedarf einer Aufklärungskampagne, dass sogenannte „vergabefremde Kriterien“ – wie u.a. Umweltkriterien viele Jahre geschmäht wurden – nicht nur zulässig, sondern deren Einbeziehung sogar zur Förderung des staatlichen Ziels eines effizienten Umwelt- und Klimaschutzes geboten sind. Dies kann häufig am effizientesten auf Ebene der Leistungsbeschreibung erfolgen, es sind aber auch Gestaltungen im Rahmen von Eignungs- oder Wertungskriterien möglich.
Jens Kröcher

Jens Kröcher ist seit 19 Jahren als Rechtsanwalt tätig. Nach seinem abgeschlossenen Jurastudium arbeitete er zunächst bei der Prokon Unternehmensgruppe und seit 2006 bei der, auf Umweltrecht spezialisierten, Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. [GGSC] in Berlin. Dort ist er seit 2015 Partner. Jens Kröcher ist seit 2016 Fachanwalt für Vergabrecht und deckt vor allem die Schwerpunkte Vergabe-, Abfall- und Kommunalwirtschaftsrecht ab. Neben seinen Tätigkeiten als Stadtverordneter und Kreistagsabgeordneter, war er von 1997 bis 1999 Politischer Geschäftsführer von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN in Hessen.