Mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD formiert sich die Bundesregierung, die in einer Zeit multipler Krisen „Verantwortung für Deutschland“ übernehmen will. Der Vertrag enthält aus Sicht der progressiven Wirtschaft begrüßenswerte Ansätze als auch Defizite. Besonders problematisch: Die Parallelität von Klimazielen und Verlängerung fossiler Abhängigkeiten und der generelle Finanzvorbehalt. Alle Maßnahmen unter den Vorbehalt verfügbarer Haushaltsmittel zu stellen, ist nicht das, was die Wirtschaft in einer Phase, in der verlässliche Investitionen dringend notwendig sind, als Planungssicherheit braucht.
Der beschleunigte Zugang zu Arbeitsgenehmigungen für qualifizierte Fachkräfte, der vereinfachte Zugang zu Innovationsförderprogrammen und der Bürokratieabbau in Fördermittelverfahren sind zielführende Ansätze. Die Digitalisierung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen – besonders im Bereich der Energiewende – unterstützen wir nachdrücklich. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass bürokratische Vereinfachungen nicht zu Lasten essenzieller Nachhaltigkeitsstandards gehen.
Positiv hervorzuheben ist, dass der Ausbau erneuerbarer Energien konsequent gestärkt werden soll. Wir vermissen konkrete Ausbauziele. Kritisch sehen wir den späten Ausstieg aus der Kohlenenergie bis 2038. Wir begrüßen, dass Bürgerenergie, Mieterstrommodelle und Energy Sharing Erwähnung finden sowie den geplanten Netzausbau, die Förderung von Speichern, Smart-Metern und flexiblen Stromtarifen. Die Einstufung von Speichern als Infrastruktur im öffentlichen Interesse stellt einen wichtigen Meilenstein dar. Die angekündigte Abschaffung eines Gesetzes, das es nie gab ("Heizungsgesetz"), finden wir unverständlich – die Wärmewende wird entscheidend für das Erreichen des Klimaziels sein.
Besonders hervorzuheben ist das Sondervermögen zur Deckung dringender Investitionsbedarfe auf allen föderalen Ebenen. Die angekündigte Beschleunigung von Planungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren ist ein notwendiger Schritt, insbesondere im Rahmen des geplanten Infrastruktur-Zukunftsgesetzes. Die Prüfung einer bevorzugten Behandlung großer Vorhaben auch außerhalb des Sondervermögens kann Chancen eröffnen – muss jedoch zwingend an Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt sein.
Wir begrüßen das Festhalten am Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und das Bekenntnis zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Die Ausweitung des Emissionshandels auf europäischer und internationaler Ebene sowie der Einsatz für die Einführung des ETS2 ab 2027 sind wichtige Schritte. Allerdings bleibt die konkrete Ausgestaltung der Rückverteilung der CO₂-Einnahmen an Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen unklar. Wir plädieren nachdrücklich für die Einführung eines sozial gestaffelten Klimagelds als effektivste Lösung. Der geplante CO₂-Sozialfonds kann zwar einen Beitrag leisten, erreicht jedoch nicht die Wirksamkeit eines direkten Klimagelds. Die jährlich vorgesehene Förderung des Klima- und Transformationsfonds in Höhe von 10 Milliarden Euro ist grundsätzlich zu begrüßen, reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Besonders kritisch sehen wir die fortgesetzte Vergabe kostenloser CO₂-Zertifikate.
Die Weiterführung der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS), die Reform des Verpackungsgesetzes und Maßnahmen zur Abfallvermeidung sind erfreuliche Entwicklungen. Die Weiterentwicklung der Strategie anhand eines Eckpunktepapiers greift jedoch zu kurz. Erfreulich ist der Einsatz für den verstärkten Einsatz von Rezyklaten und die Förderung der Sharing Economy. Es mangelt an langfristigen Visionen und belastbaren Finanzierungsperspektiven. Das Engagement für einen digitalen Produktpass ist wichtig, muss jedoch durch gezielte Unterstützungsmaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen flankiert werden. Die Einführung einer Abfallende-Regelung begrüßen wir. Diese kann den Hochlauf von Recyclingbaustoffen auslösen. Allerdings wurde diese schon von Vorgängerregierungen versprochen, getan hat sich dahingehend bisher wenig. Die
angekündigte Förderung klimafreundlicher und klimaneutraler Produkte ist grundsätzlich zu begrüßen, benötigt aber konkrete Impulse für zirkuläre Märkte und nachhaltige öffentliche Beschaffung. Das Ziel, den Primärrohstoffverbrauch zu senken, bedarf präziserer Zielwerte und Maßnahmen.
Die Stärkung des Ökolandbaus im Rahmen einer neuen Biostrategie, die Aufstockung der Forschungs- und Bildungsetats, das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und die Förderung heimischer Eiweißpflanzen zeigen ein grundsätzliches Bekenntnis zur ökologischen Landwirtschaft. Positiv zu bewerten ist auch die Förderung regionaler Wertschöpfungsketten durch EU-, Bundes- und Landesmittel. Problematisch ist die undifferenzierte gleichrangige Anerkennung konventioneller und ökologischer Landwirtschaft. Besonders kritisch sehen wir, dass keine Pestizidabgabe eingeführt werden soll und die umweltschädliche Subvention der Agrardiesel-Rückvergütung wieder eingeführt wird.
Die Erhöhung der Investitionen in das Schienennetz, die Absicht zur verstärkten Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene sowie die Elektrifizierung des Bahnverkehrs – auch unter Verzicht auf starre Kosten-Nutzen-Prüfungen – setzen richtige Prioritäten. Der Deutschlandtakt und die Verstetigung des Deutschlandtickets stärken die nachhaltige Mobilität nachhaltig, ebenso wie die intensivierte Förderung des Rad- und Fußverkehrs. Positiv zu bewerten sind auch die angekündigten Reformen im Mobilitätsmix und in der intelligenten Vernetzung der Verkehrsträger. Bedauerlich bleibt, dass ein Tempolimit weiterhin kategorisch ausgeschlossen wird. Auch die explizite Ablehnung gesetzlicher Quoten für die Elektrifizierung von Fahrzeugflotten ist ein Rückschritt, ebenso wie der Einsatz gegen Strafzahlungen bei Verfehlung von Flottengrenzwerten, die Umwidmung der LKW-Maut-Einnahmen für den Straßenbau und die geplante Absenkung der Luftverkehrssteuer.
Der Koalitionsvertrag setzt mit der Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft, der geplanten Entbürokratisierung in Genehmigungsverfahren und dem Infrastruktur-Sondervermögen wichtige Impulse für eine zukunftsfähige Politik. Doch insgesamt bleibt die Handschrift der Koalition widersprüchlich und unentschlossen. Viele Maßnahmen sind unzureichend konkretisiert, ambitionierte Ziele stehen unter Finanzierungsvorbehalt und zentrale klimapolitische Instrumente wie das Klimageld werden nur unzureichend oder gar nicht verfolgt. Statt einer konsequenten Strategie für eine ökologisch und sozial tragfähige Modernisierung der Wirtschaft, dominieren halbherzige Kompromisse und zum Teil rückwärtsgewandte Entscheidungen – etwa beim Kohleausstieg, dem fehlenden Tempolimit oder der Beibehaltung fossiler Subventionen.
Der Koalitionsvertrag verpasst damit die Chance, eine glaubwürdige Zukunftsvision zu vermitteln. In einer Zeit, die mutige Weichenstellungen für eine nachhaltige, sozial gerechte und klimaneutrale Zukunft erfordert, bleibt die neue Bundesregierung hinter den Erwartungen zurück. Die ambitionierten Absichtserklärungen werden durch den durchgängigen Finanzierungsvorbehalt und konkrete Rückschritte in wichtigen Politikfeldern konterkariert. Es bleibt abzuwarten, welche der geplanten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden – und welche als bloße politische Kompromissformeln in Erinnerung bleiben.