Sozial. Stark. Sichtbar. - Wie das Sozialunternehmen Wombly pflegebedürftige Kinder und ihre Familien empowert

Ihr schneidet Löcher in Hosen?
Schnippschnapp. Nein, kein Do-it-yourself-Workshop, sondern bitterer Alltag für Eltern mit pflegebedürftigen Kindern. Passt eine Hose nicht, etwa wegen einer besonderen Körperform, schneiden manche Eltern Löcher hinein und passen die Hose an. Oder sie funktionieren kurzerhand Socken als Prothesen-Polsterung um. Genau das ist Realität für rund 350.000 Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen in Deutschland. Nach der Gründung ihres Start-Ups führten Lena Förster und Lina Falkner unzählige Gespräche mit Eltern, Pfleger:innen und medizinischem Personal, um die Bedürfnisse pflegender Eltern besser zu verstehen. „Wir haben so viel gelernt in dieser Phase“, erzählt Christina Schirra, die später zum Team dazustieß. „Zum Beispiel, dass auch Kinder, die zur ambulanten Chemotherapie gehen, angepasste Kleidung brauchen. Oder Kinder mit nur einem Arm, die sich selbstständig eine Hose anziehen möchten.“ Was sie vor allem erfuhren: Pflege kostet viel Zeit. Deshalb war für sie klar, dass ihre Kleidung den Alltag erleichtern soll. Zugänge zu Versorgungsleitungen ermöglichen oder Pulli-Ärmel, die sich öffnen lassen, damit ein Kind nicht von der Beatmung getrennt werden muss. So starteten sie mit ihrem ersten Prototyp.
Ein Knopfband, Crowdfunding und ein unerwarteter Verbündeter
Wirklich? Jemand interessiert sich für uns? Genau so fühlte es sich an für viele Eltern, als sich das Wombly-Team bei ihnen meldete. Das erste Wombly-Kleidungsstück war ein Pullover mit integriertem Body, der sich an den Ärmeln öffnen ließ und keine harten Druckknöpfe, sondern ein weiches Knopfband besaß. Außerdem eine fast unsichtbare Öffnung auf Bauchhöhe, um beispielsweise an Magensonden heranzukommen. Bis heute ist es ein Lieblingsstück der Gründerinnen. „Uns war von Anfang an wichtig, dass unsere Kleidung nicht nach Krankenhaus aussieht, sondern wie ganz normale Kindermode: bunt, weich und farbenfroh“, so Lena, Für die erste Kollektion setzten sie 13.000 Euro an und starteten ein Crowdfunding. Was dann kam, hatte niemand erwartet. Viel Support von unbekannten Menschen. „Das hat uns wirklich berührt“, erinnert sich Christina. Ein Geschäftsmann legte ihre Flyer mit in seine Pakete, um ihre Bekanntheit zu steigern – einfach so. Doch kaum war der erste Rückenwind verebbt, wurde es holprig. Zwar war der eigene Onlineshop fertig, alle Bilder und Produktbeschreibungen hochgeladen, bereit zum Verkauf, aber die Website-Besucher:innen blieben aus. Was tun? „Schaltet doch Social-Media-Anzeigen!", lautete ein heißer Tipp. Also drehten sie Videos, machten Fotos und starteten eine Kampagne. Doch die Klicks blieben aus. Bis sie auf etwas setzten, das heute fast altmodisch wirkt: Auf Veranstaltungen und Messen persönliche Gespräche mit Eltern und Therapeut:innen führen. Langsam tat sich etwas, Wombly wurde bekannter. Doch eine Herausforderung blieb.
Die Sache mit dem Preis
Es ist ein Spagat. Immer wieder aufs Neue. Auf der einen Seite fair, umweltfreundlich und hochwertig produzieren, auf der anderen Seite nicht zu viele pflegende Eltern ausschließen, die schlicht wenig Geld haben. Vor allem, wenn sie alleinerziehend sind oder wegen der Pflege nicht arbeiten können. „Obwohl wir ausschließlich Stoffe aus Biobaumwolle beziehen, sind wir nicht zertifiziert", sagt Lena. „Wir würden das gern ändern, aber im Moment können wir uns das einfach nicht leisten." Denn Nähen lassen in Europa, in Portugal oder Polen, hat seinen Preis. Es ist ein ständiger Balanceakt. „Natürlich tut es weh, wenn wir hören, dass wir Familien ausschließen, weil sie sich unsere Kleidung nicht leisten können", erklärt Christina. „Aber wir hoffen, dass sie über den Second-Hand-Markt trotzdem etwas finden." Langfristig steht sogar eine eigene Tauschbörse auf dem Programm. Doch dafür muss das Business erst einmal stabil laufen. Denn eines steht fest: Ohne Umsatz kein Wombly.
„Dann flatterte plötzlich eine Abmahnung über 10.000 Euro rein“
Echt jetzt? Schockstarre. Auf einmal lag eine Abmahnung über 10.000 Euro Schadenersatz im Briefkasten. Lena und Christina blieb die Luft weg. Doch dann fingen sie an zu recherchieren und fanden heraus, dass es am Ende nur um drei Euro ging. Auch das ist Unternehmerinnenalltag. „Wir standen immer wieder an dem Punkt, an dem wir dachten: Ist es jetzt vorbei oder nicht?", erinnert sich Lena. Doch einer hielt ihnen stets den Rücken frei – ihr Investor. Ein Vater, der sich vor 25 Jahren genau solche Kleidung für seine eigene Tochter gewünscht hätte. „Er macht keinen Druck, sondern hat uns immer unterstützt, selbst als sich die Preise nach Corona plötzlich verdoppelten“, berichtet Christina. Kein Tag gleicht dem anderen und manchmal ist die Unsicherheit schwer auszuhalten, vor allem in Krisenzeiten. Dann braucht es ein Team, das zusammenhält und manchmal auch den Mut, loszulassen. „Leider mussten wir auch schon Kündigungen aussprechen. Das war natürlich nicht einfach, gehört aber dazu." Was sie in dieser Zeit gelernt haben? Mentale Stärke zu entwickeln und wie wichtig es ist, bei Sturm nicht allein auf hoher See zu sein.
Applaus, Applaus und ein großes Fragezeichen
Es war soweit. Gemeinsam mit Mitgründerin Lina stand Christina im Scheinwerferlicht auf der großen Bühne. Das Wombly-Team hatte sich für den Wettbewerb „Digital Female Leader Award" in der Kategorie Beauty und Lifestyle beworben. Und da standen sie nun, neben zwei Unternehmerinnen, die fesche Damenunterwäsche präsentierten. „Wir haben uns null Chancen ausgerechnet", erinnert sich Christina, „weil unser Thema total unsexy war.“ Als es zur Preisverleihung ging, waren beide nervös. Doch dann kam die Überraschung: Die Laudatorin Tijen Onaran trat ans Mikrofon und gratulierte Wombly zum ersten Platz. Doch während ihre Sichtbarkeit wuchs, sah die finanzielle Realität anders aus. Noch können die beiden nicht von ihrem Unternehmen leben, sondern allenfalls die Kosten für vorfinanzierte Kollektionen wieder reinholen. Von Gewinn keine Spur. Und wenn doch mal genug übrigbliebe, würden sie es direkt in die nächste Kollektion investieren – zum Beispiel in eine für Kinder mit Down-Syndrom. Wenn die beiden einen Wunsch frei hätten, dann wäre es dieser: „Wenn Krankenkassen sagen würden: ‚Wir übernehmen 50 Prozent der Kosten für eure Kleidung' – das wäre wunderbar. “ Oder wenn Start-ups in den ersten Jahren echte Steuererleichterungen bekämen. Denn die ungeschönte Wahrheit lautet: Niemand macht ab Tag eins Umsatz und viele Gründer*innen geben auf.
Worauf es in harten Zeiten ankommt
Hihihi. Manchmal hilft nur noch eines – gemeinsam lachen. „Wir sind große Optimistinnen und konzentrieren uns lieber auf das Positive, weil wir sonst nicht weiterkommen. “ Präsent bleiben, Haltung zeigen und Menschen unterstützen, die nicht dieselben Privilegien haben – das ist ihr Antrieb. Als Sozialunternehmen haben sie einen entscheidenden Vorteil: die Nähe zu ihren Kund:innen, von denen sie viele persönlich kennen. „Mit den richtigen Menschen an unserer Seite können wir laut sein und etwas bewegen“, sind sich die beiden einig. Und die Modebranche? Einige Anbieter gehen erste Schritte Richtung Inklusion, doch noch steckt das Thema in den Kinderschuhen. Aber es tut sich etwas und je mehr dabei sind, desto größer die Wirkung. „Wir hoffen, dass wir das auch ein bisschen vorangetrieben haben“, sagt Christina. Lena möchte ihrer Tochter zeigen, dass man Dinge verändern kann, an die man glaubt. Bis es soweit ist, gibt es eines, was ihnen immer wieder neue Kraft gibt: die schönen Rückmeldungen ihrer Kund:innen. „Wenn wir Fotos bekommen von Kindern, die stolz unsere Shirts tragen, dann wissen wir, wofür wir das alles machen.“
Zur Kolumne:
Christine Harbig ist Filmproduzentin, Journalistin und BNW-Mitglied. Ihre Mission ist es, nachhaltige und soziale Unternehmen sichtbar zu machen. Denn es gibt bereits viele gute Ideen für eine bessere Zukunft – doch oft sind sie noch zu wenig bekannt. In der BNW-Reihe "Sozial. Stark. Sichtbar." porträtiert sie Sozialunternehmer:innen, die zeigen, wie alternatives Wirtschaften funktioniert und welche Chancen in ihren Geschäftsmodellen stecken.