Sozial. Stark. Sichtbar. - Wie Florian Domberger mit Minimalismus, Haltung und Eigenverantwortung Quereinsteiger:innen zu Unternehmer:innen macht
Wasser. Mehl. Salz. Sonst nüscht.
Wie Florian Domberger mit Minimalismus, Haltung und Eigenverantwortung Quereinsteiger:innen zu Unternehmer:innen macht.
Es war Liebe auf den ersten Duft – das Roggenbrot aus dem Kloster in Oberschönenfeld bei Augsburg. „Damit wurde ich sozialisiert“, erinnert sich Florian Domberger. Seitdem gehört Brot einfach zu seinem Leben – selbst auf Reisen. Sogar nach Hongkong oder Melbourne ließ er sich Brot aus Deutschland nachschicken. Fast hätte er in Australien selbst eine Bäckerei eröffnet, doch als seine Tochter schwer erkrankte, kehrte er mit seiner Familie nach Europa zurück. Eine Idee, die schon lange in ihm gärte, nahm schließlich Form an: Er wollte Unternehmer werden. Aber keinesfalls in der Möbelspedition seiner Eltern in Augsburg. „Das hätte mich zu Tode gelangweilt.“ Dass er sich mit dem Quereinstieg ins Bäckerhandwerk nicht nur einen Traum erfüllte, sondern auch zu sich selbst finden würde, ahnte er damals noch nicht.
Es begann mit einem grünlichen Kuhfladen
Herrjemine! Eine Katastrophe! Dabei hatte Florian Domberger alles genauso gemacht wie die Schwäbin im YouTube Video. Doch sein erstes Sauerteig-Roggenbrot sah zum Fürchten aus. „Es lag vor mir wie ein grünlicher Kuhfladen“, erinnert er sich. Doch als er es anschnitt, stieg ihm der vertraute Duft aus Kindheitstagen in die Nase. Was als Experiment begann, wurde ein Erfolgsrezept: Sauerteig-Brot ohne Zusätze selbst backen. Konkurrenz gab es kaum, denn lange Teigführung und Temperaturempfindlichkeit passen nicht in unsere schnelllebige Welt. Zu aufwendig, zu empfindlich, lautete das Credo. Für Florian Domberger eine echte Marktlücke. „Mir war klar, wenn ich das mache, lohnt es sich nur im Premiumsegment.“ Statt den Marktpreis anhand seiner Kosten zu bestimmen, übernahm er die Preise der Konkurrenz und begann dann, seine Kosten zu senken. Und er setzte von Anfang an auf ein kleines Sortiment, wenige Rohstoffe und maximale Qualität. „Als Logistiker wusste ich, wie viel Minimalismus ausmacht.“ Den Rest lernte er in seiner Ausbildung bei Bäckermeister Björn Wiese in Eberswalde. Im Oktober 2016 war es dann soweit: Er eröffnete seine eigene Bäckerei. Nicht irgendwo, sondern in einem Berliner Stadtteil ohne Schickeria-Kund:innen – in Moabit.
Nein! Keine Hefe im Brot!
Wirklich nicht? Nein. Florian Domberger wiederholt diesen Satz wie ein Mantra: Keine Hefe. Nur Mehl, Wasser, Salz und eine Sauerteigkultur. Backen wie vor 200 Jahren. Natürliche Fermentation ist eine Diva. Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Zeit, Bearbeitung – alles muss stimmen. Selbst mit Bäckermeister Ralf Tschentscher an seiner Seite war die Lernkurve steil. Einige Brote aus der Anfangszeit würde Florian heute nicht mehr verkaufen. Aber Fehler gehören für ihn dazu. Von Anfang an setzte er auf Transparenz und regionale Lieferketten. „Während Corona brach überall die Weizenversorgung ein, aber nicht bei uns. Weil wir von Anfang an auf regionale Partner und faire Preise gesetzt haben.“
Von der Bundeswehr geklaut
Ausgerechnet. Obwohl Florian die Bundeswehr teilweise für einen bürokratischen Beamtenladen hält, hat er dort die wichtigste Lektion für seinen Erfolg gelernt. „Ich hab das Ausbildungssystem gnadenlos von der Bundeswehr abgekupfert“, gibt er zu. „Bei der Bundeswehr sind alle Quereinsteiger. Und trotzdem funktioniert es.“ Weil dort nicht nur nach Leistung, sondern auch nach Kompetenzen ausgebildet wird. Dieses Prinzip hat er übernommen. Fünf Kompetenzfelder gibt es bei Brot-Werk: Fachkompetenz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz und Führungskompetenz – und in jedem können seine Mitarbeitenden wachsen. Wer Leidenschaft mitbringt, und ins Team passt, bekommt eine Chance. Alles andere ist zweitrangig. „Wir haben zwei Schwerbehinderte bei uns, aber mit einer Passion für Brot. Also machen wir es möglich.“ So wie für Mo, dem die linke Hand fehlt, der aber einer der besten Handwerker im Team war, und mittlerweile wieder in Syrien ist. Obwohl Brot-Werk kein Sozialunternehmen ist, bietet Florian Quereinsteigern echte Chancen – schließlich war er selbst einer. Die Diversität ergibt sich fast von selbst. „Du musst den anderen nicht mögen, aber du musst für ihn einstehen.“ Florian ist sich sicher: Wer gut ausbildet, hat keinen Fachkräftemangel. Und außerdem den Rücken frei, um neue Ideen auszuprobieren.
„Das Lieferkettengesetz ist sinnvoll, weil es einen dazu zwingt, die eigene Lieferkette zu durchforsten, zu hinterfragen und Komplexität rauszunehmen. Und das ist gut.“ — Florian Domberger, Domberger Brot-Werk
Dann kamen die Brotwüstenexpeditionsfahrzeuge
Es war Liebe auf den ersten Blick. Und eigentlich ein großer Zufall. Auf Ebay entdeckte Florian einen Schweizer Feldbackofen. „Da bin ich dann ein halbes Jahr mit der Idee schwanger gegangen und hab ihn gekauft.“ Autark. Robust. Und bereit für Berliner Asphalt. Seitdem hat Florian zwei mobile „Brotwüstenexpeditionsfahrzeuge“ im Einsatz und bringt gutes Brot dorthin, wo es keines gibt. Gleichzeitig testet er dabei den Markt für Sauerteig-Brot. „Barack Obama hat mal gesagt: Wer Wahlkampf macht, muss von Tür zu Tür gehen und das Individuum überzeugen. Daran glaube ich mittlerweile auch.“ Was ihn antreibt ist nicht nur die Liebe zum Handwerk, sondern die Freude an Systemen, Abläufen und Maschinen. Stundenlang kann er allein mit einer neuen Maschine verbringen. Was ihn dagegen nervt: Unnötige Bürokratie, die alles ausbremst. „Unsere Politik lässt sich zu oft von Lobbygruppen treiben. Die suchen den schnellsten Ausweg, statt die beste Lösung. Und treten auf der Stelle.“
„Wir reden seit 40 Jahren vom Subventions-Abbau. Aber wir subventionieren immer noch wie blöd. Das verhindert echte Veränderungen und wird uns auf die Füße fallen.“ — Florian Domberger, Domberger Brot-Werk
Von Fehlerkultur und Transparenz
Pfffft, pffft, pffft. So klang es in der Markthalle neun bis spät in die Nacht. Ivan Kotovskyi aus der Ukraine knetete Teig, obwohl seine Schicht längst zu Ende war. Denn am Nachmittag war es passiert: Der Teig war nicht richtig aufgegangen. Kein Teig, kein Brot. Also legte Ivan eine Nachtschicht ein und stand am nächsten Morgen mit fertigen Broten da, nur zwei Stunden später als sonst. „Darauf kann er stolz sein“, lobt Florian. Genau das ist für ihn Unternehmertum: nicht wegducken, sondern handeln. „Wenn meine Leute Mist gebaut haben, gehen sie nicht nach acht Stunden heim. Sonst fehlt der Umsatz und das geht nicht.“ Seine Regeln: Fehler offen ansprechen und maximale Eigenverantwortung. Ob bei defekter Kühlung, Schädlingsbefall oder Kundenbeschwerden. All das regeln die Leitenden selbst. Eine weitere Regel: Radikale Transparenz. Die ist ihm wichtiger als ein Bio-Siegel. „Wenn sich bei uns jemand beschwert oder eine Frage hat, dann führe ich diese Menschen eine halbe Stunde durch die Backstube. Wir sind 100 Prozent transparent und das spricht sich rum.“ So ist das kleine Team längst auf 37 Köpfe angewachsen. „Bei mir kann jeder ausprobieren, ob er oder sie Unternehmer:in werden will oder nicht.“ Und weil fast alles ohne ihn läuft, gärt in Florian längst eine neue Idee.
„Das Wichtigste, was wir leisten, ist die Erziehung zur Eigenverantwortung.“ — Florian Domberger, Domberger Brot-Werk
Rente? Auf keinen Fall!
Aussteigen. Das ist tatsächlich Florians Traum. Nicht in die Rente, sondern ins nächste Abenteuer. Wenn er abends todmüde ins Bett fällt, kribbelt es ihm spätestens am nächsten Morgen wieder in den Fingern. Stillstand ist Langeweile, Sicherheit ein Bremsklotz. Bald will er das Brot-Werk in gute Hände übergeben und ein neues Geschäftsmodell testen: Ausbildung im Handwerk nach seinem Prinzip. Drei Monate in einen Betrieb gehen, beraten, verändern und den Laden rocken. „Ich will so richtig die Sau rauslassen.“ Denn: „Ich bin Unternehmer und kann machen, was ich will.“ Und das tut er. Das Schönste aber ist für ihn, wenn er sieht, wie seine Bäcker und Bäckerinnen ihre eigenen Wege gehen, anderswo eine Bäckerei eröffnen oder etwas ganz Neues anfangen. Dann weiß er, dass er alles richtig gemacht hat. Nicht nur bei seinem Team, sondern auch bei seinen beiden Töchtern. Denn für sie will er vor allem eines sein: ein geliebtes Vorbild.
Zur Kolumne:
Christine Harbig ist Filmproduzentin, Journalistin und BNW-Mitglied. Ihre Mission ist es, nachhaltige und soziale Unternehmen sichtbar zu machen. Denn es gibt bereits viele gute Ideen für eine bessere Zukunft – doch oft sind sie noch zu wenig bekannt. In der BNW-Reihe "Sozial. Stark. Sichtbar." porträtiert sie Sozialunternehmer:innen, die zeigen, wie alternatives Wirtschaften funktioniert und welche Chancen in ihren Geschäftsmodellen stecken.