"Wir können nicht mehr warten, dass die Kreislaufwirtschaft organisch wächst"

„Dann sind wir in einem massiven Algen-Plastikmüll-Teppich stecken geblieben.“ So beschreibt Christian Schiller den Startschuss von Cirplus. Bei der Überfahrt zwischen Kolumbien und Panama wird dem Co-Geschäftsführer von Cirplus nicht nur die ausufernde Umweltverschmutzung bewusst – er entdeckt auch ein Geschäftsfeld. „Das ist eine krasse Wertvernichtung. Selbst wenn man gar nicht so umweltgetrieben ist. Es steckt viel Geld und Wert in der Erdölförderung, z.B. zur Herstellung von Kunststoffen, die nach einmaliger Nutzung wertlos ist.“ Diesen Wert will Cirplus erhalten. Das Problem: der Recyclingmarkt ist stark fragmentiert.
„Betrachtet man den Markt, so gibt es auf der einen Seite die Kunststoffverarbeiter und die Kunststoffnachfrager. Das sind 50.000 Unternehmen, die Verpackung, Teile im Automobilbereich und Textilien herstellen. Und sie alle haben, zumindest in der Theorie, alle einen Bedarf an nachhaltigen Kunststoffen. Wechselt man auf die Anbieterseite, ist da eine sehr kleineteilige, mittelständisch geprägte, nicht so professionalisierte Lieferkette mit knapp 1000 Kunststoffrecyclern und Rezyklatverkäufern.“ Eine zentrale Plattform für Recycler, Verkäufer und Käufer von Rezyklaten – das ist die Grundidee von Schiller und Bilici. „Die erste Version von Cirplus war dann auch ein so genannter Marktplatz, wir wollten Anbieter und Nachfrage vernetzen.“ Mittlerweile hat sich das Start-Up aber weiterentwickelt. „Ich würde uns heute eher als eine Art Qualitäts- und Mengen-Gateway beschreiben, der nicht nur einfach vernetzt, sondern die Lieferkette dahinter orchestriert und dafür sorgt, dass die Menge und Qualität der Dienstleistung oder des Produktes, bei uns recycelter Kunststoff, immer dem entspricht, was der Kunde erwartet.“
Vertrauen dank Standards
ˈDie Lieferkette orchestrierenˈ - und das als Start-Up mit aktuell gerade einmal fünf Mitarbeitenden. Das geht nur, wenn man entsprechende Partner findet. Für Cirplus ist das unter anderem das Deutsche Institut für Normung (DIN) „Wir sind relativ früh drauf gestoßen worden, auch aktiv vom DIN. Am Ende zählt für ein Unternehmen immer auch Sicherheit, Verlässlichkeit, Vertrauen. Und wie erzeugst man Vertrauen in relativ intransparenten und unterprofessionalisierten Märkten? Indem du Standards setzt.“ Nach zwölf Monaten „richtig viel Hirnschmalz“ entsteht die DIN Spec 91446 – entwickelt und finanziert von Cirplus und 16 weiteren Teilnehmern, darunter das Kunststoffinstitut Lüdenscheid und das Institut für Kunststoff und Kreislaufwirtschaft Hannover. „Das ist richtig gut angenommen worden. Selbst der Verband der deutschen Automobilindustrie hat die DIN-Spec übernommen und gesagt: Das ist gut, so machen wir das bitte, wenn Rezyklate in Automobile gehen sollen.“ Mit der DIN SPEC 91446 ist Cirplus ein großer Wurf gelungen – doch das Start-Up ist damit noch nicht am Ziel, so Schiller: „Wenn man es ernst mit Kreislaufwirtschaft meint, muss man Vertrauen in die Lieferkette schaffen. Standards sind ein wesentlicher Teil davon und deswegen haben wir uns da so stark engagiert.“
Starkes Engagement braucht es aber auch, um als zirkuläres Start-Up zu überleben. „Das waren echt schockierend große Preisschwankungen nach oben und unten, die wir erlebt haben. In so einem dynamischen Markt musst man ein sehr gutes Kernteam haben, mit dem man agil auf die Verwerfungen reagieren kann.“ In sechs Jahren Cirplus hat das Team viele Veränderungen erfahren, neue Wege ausprobiert und neue Geschäftsmodelle entwickelt. „Mit der Konsequenz, dass wir trotz unserer geringen Größe im Jahr 2024 tatsächlich unser bisher wirtschaftlich erfolgreichstes Jahr hatten“, so Schiller weiter, „weil wir uns auf Nischen konzentriert haben, die es uns ermöglichen, uns in einem schwierigen Marktumfeld zu behaupten.”
Geschäftsmodell Kreislaufwirtschaft
Trotz der schwierigen Marktbedingungen ist Schiller weiterhin überzeugt, dass zirkuläre Märkte die Zukunft sind. „Wer sich die Zahlen zur Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit im Allgemeinen anschaut und da dann noch ruhig bleiben kann - das erschließt sich mir nicht. Das Thema ist inhaltlich wichtig, trotzdem treten wir seit Jahrzehnten auf der Stelle.“ Um dennoch in der Kreislaufwirtschaft voranzukommen und Innovationen zu fördern, braucht es laut Schiller einen grundlegenden Wandel – gerade in der Politik. „Die Faktenlage ist klar, die Probleme sind auch lange bekannt, wir können jetzt die nächste Kommission gründen und das nächste Paper schreiben oder wir können einfach mal machen.“ Und das am besten unter der nächsten Bundesregierung, denn „wir können nicht mehr warten, dass es organisch wächst. Wir müssen die Innovationskraft in unserem Land und in Europa nutzen, staatliches und privates Kapital zusammenbringen und danach radikal schnell Lösungen für die Klimakrise zu finden.“
Doch gerade hier sieht Schiller die deutsche Wirtschaft vor schwierigen Bedingungen. „Obwohl wir die größte Volkswirtschaft sind, sind wir strukturell bei der Transformation nicht gut positioniert. Warum? Weil der Erfolg der Industrien, die unser Land ausmachen, Automobil, Maschinenbau, Chemie, in linearen Wertschöpfungsketten organisiert sind.“ Hier Innovationen anzuschieben und gleichzeitig Angestellte und Wähler:innen mitzunehmen, ist für Schiller eine der zentralen Herausforderungen. Denn was nicht passieren darf ist, dass der Wandel „als vermeintliches Elitenprojekt wahrgenommen wird - was es ja gar nicht ist.“
Unlevel-Playing Field
Eine der möglichen Maßnahmen für mehr Wandel sieht Schiller im Ausgleich des sogenannten ˈUnlevel-Playing Fieldˈ, das Nachhaltigkeitsthemen bisher benachteiligt. Warum? „Ohne gleiche Spielregeln für einen alten Player mit Milliardengewinnen und einen kleinen neuen Player kann man sich vorstellen, wie leicht es für den Großen wird, den Kleinen zu verdrängen.“ Für Schiller ist dies ein Hindernis für das Entstehen Innovationen und deren langfristige Etablierung am Markt ohne Unterstützung durch die Politik. Für die Kreislaufwirtschaft bedeutet das aus seiner Sicht „Ganz klaren Vorrang für ˈDesign for Recyclingˈ, Reduktion wo möglich und Wiederverwendungsmodelle. Und dann mit weitem Abstand ganz klarer Vorrang auf hochwertiges, mechanisches Recycling.” Das Start-Up hat sich das Feld herausgesucht, weil für Schiller und die Wissenschaft „die Fakten klar zeigen, dass hochwertiges mechanisches Recycling in seiner ökologischen Wirkung einem etwaigen chemischen Recycling immer deutlich überlegen sein wird.“
Mit Fakten an die Politik durchdringen. Das ist in der Theorie einfach, in der Praxis aber oftmals kompliziert – und deshalb einer der Gründe, warum sich Cirplus im BNW engagiert. „Der Staat muss sich mit diesen Fakten auseinandersetzten, die liegen auf dem Tisch und sind bekannt. Ich sage das ganz bewusst, weil die Diskussion in Deutschland leider eine Nebelkerzendiskussion ist. Die Politik kann nicht die Position eines einzelnen Unternehmens übernehmen, weil dahinter immer ein Partikularinteresse vermutet wird, wenn auch ein gutes. Deswegen braucht es jemand der gesammelt und qualifiziert die Meinung und Position in den öffentlichen Raum trägt. Das tut der BNW in einer Weise die zeigt, dass eine ökologische, nachhaltige Transformation tatsächlich gelingen kann und gleichzeitig der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt wird.
Mut zur Modernisierung – Jetzt
Mit Blick auf die kommende Regierung sieht Schiller die Notwendigkeit, die Kreislaufwirtschaft weiter voranzutreiben. „Es reicht nicht Transformationsschmerzen zu ersparen und wie bei der Verbrennerdebatte das Thema zehn Jahre hinauszuzögern. In der Zwischenzeit werden uns China und die USA abhängen. Und deswegen meine Motivation, meine Botschaft: Fangt einfach an. Ihr müsst euch sowieso drei-, vier-, fünfmal Mal drehen, bis ihr herausgefunden habt, wie ihr im in eurem Feld etwas bewegen könnt. Aber aufgeben ist einfach keine Option.“